Man stelle sich folgende Situation vor: Am Markt sind viele innovative, leistungsfähige und preiswerte Produkte verfügbar – aber öffentliche Auftraggeberinnen und -geber in Deutschland haben keinen Zugang zu ihnen! Und das in einer Zeit, in der der Modernisierungsstau in Verwaltung und öffentlicher Daseinsvorsorge immer offensichtlicher wird. Dystopie? Nein: Realität im Jahr 2022.

 

Der Grund: Immer häufiger entwickeln junge Unternehmen die schöne neue Produktwelt, die nicht in althergebrachte Eignungskategorien im Rahmen öffentlicher Beschaffung passen: kaum Referenzen und zu wenig Umsatz oder gar Gewinn für die Klassifizierung als finanziell leistungsfähig nach traditioneller Draufsicht. Außerdem sind die innovativen Lösungen dieser jungen Unternehmen häufig strukturell so anders, dass sie auf klassische Leistungsbeschreibungen nicht passen. Kurz: Startups sind zwar irgendwie in Mode, aber die öffentliche Hand scheut den ersten Schritt – zu gering ist die Kenntnis vom Angebot der Startups, zu groß die Angst, etwas im Beschaffungsprozess falsch zu machen – man könnte sich ja durch die Newcomer-Beauftragung in eine vergabe- oder haushaltsrechtliche Klemme bringen. Die negative Folge: Der öffentliche Sektor verpasst so top moderne Lösungen, um seine Bedarfe innovativ zu decken!


Schöne neue Produktwelt: einige Beispiele aus dem Startup-Markt


Der Graben zwischen öffentlicher Hand und Startups wird sich nicht allein dadurch überbrücken lassen, dass man den Beschaffer:innen „in der Etappe“ Leitfäden über  innovationsfördernde öffentliche Auftragsvergabe in die Hand drückt, gelegentlich einen Startup Pitch organisiert oder das Networking zwischen Auftraggeberinnen, Auftraggebern und jungen Unternehmen fördert. Um nicht missverstanden zu werden: All das ist nicht verkehrt, hat aber in der jüngeren Vergangenheit nicht zu ultimativen Erfolgen in der Zusammenarbeit zwischen Staat und Startups geführt. Welcher Hebel ist also der Richtige, wenn man ernsthaft vorankommen möchte?

Ein Blick in die Praxis der wenigen öffentlichen Auftraggeberinnen und Auftraggeber, die sich des Startup-Themas systematisch angenommen haben, zeigt: Ohne ausdrückliche Leitungsaufmerksamkeit, eine kohärente Beschaffungsstrategie und ausreichend Rückendeckung für die Beschaffungsbeteiligten geht es nicht.

So startete etwa der Bundeswehr Cyber Innovation Hub 2017 als direkt der Ministerin und der Rüstungsstaatssekretärin unterstelltes Projekt mit dem Auftrag, innovative Technologien von Startups zu scouten, zu kaufen und gemeinsam mit Nutzenden aus der Truppe zu testen und anzupassen. Bei der Umsetzung dieses Auftrags betrieb der Hub u.a. eine systematische Startup-Marktanalye und befasste sich auch auf vertraglicher Ebene mit den besonderen Anforderungen dieser Anbietergruppe in der Angebotsphase.

 


Exkurs: Stichwort Startup-Strategie


Ziel der Startup-Strategie der Bundesregierung ist, die Startup-Ökosysteme in Deutschland und Europa zu stärken. Hierzu hat die Bundesregierung kürzlich einen konkreten Fahrplan vorgelegt, wie sie dieses Ziel innerhalb dieser Legislaturperiode erreichen will. Die Bundesregierung bündelt darin Maßnahmen in zehn Handlungsfeldern. Sie will u.a. die Finanzierung für Startups stärken, Startups die Gewinnung von Talenten erleichtern, Gründungen einfacher und digitaler machen, Startup-Ausgründungen aus der Wissenschaft erleichtern, die Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientierte Startups verbessern sowie die Startup-Kompetenzen für öffentliche Aufträge mobilisieren.



Festzuhalten ist daher: Wir brauchen die Leitungsebene von Behörden und Vergabestellen, um das Thema voranzutreiben.

Die Leitungsebene wiederum wird Transparenz über den Status quo benötigen:

  • Wo steht die Behörde eigentlich heute?
  • Wurde überhaupt schon einmal ein Startup beauftragt?
  • Und wenn wir Kapazitäten in das Thema investieren, wo stehen wir dann in einem Jahr?
  • Hat sich der Aufwand gelohnt?
  • Erreichen uns mehr Innovationen von Startups?
  • Wo kann nachjustiert werden, um noch besser zu werden?

Transparente Datengrundlagen als Basis für Entscheidungen und Erfolgscontrolling sowie als Instrument zur Fokussierung sind in Unternehmen üblich – in der öffentlichen Hand ist dies noch lange nicht der Fall.

Mit dieser Erkenntnis hat der Verein Staat-up e.V. im Verbund mit KOINNO den „Startup Beschaffungsindex“ ins Leben gerufen. Die Initiative möchte öffentliche Auftraggeberinnen und -geber dazu ermutigen, Beschaffung bei Startups als strategisches Leitungsthema anzugehen, taugliche interne Maßnahmen umzusetzen und vor allem schlicht zu messen, wie sich die Beteiligung von Startups am eigenen Vergabegeschehen darstellt und entwickelt.

Noch einmal: Beschaffung bei Startups ist kein Selbstzweck, sondern bedeutet Zugang zu Innovationen. Ebenso soll der Beschaffungsindex, also das Datenerfassen, kein Selbstzweck sein, sondern Mittel zum Zweck und wenn man so will: der Beginn einer Reise.

 

Autorinnen: Carolin Kister und Anja Theurer von Staat-up e.V.

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 01/2022 des kostenfreien KOINNOmagazins.