Die im Frühjahr gegründete „EU Unicorns Group“ der Chefs von 30 milliardenschweren europäischen Jungunternehmen fordert die EU-Kommission auf, Pioniertechnologie durch  öffentliche Beschaffung zu unterstützen. „Innovation muss in der DNA der öffentlichen Beschaffungspolitik liegen. Wir können nicht immer für die Vergangenheit zahlen, wir müssen in die Zukunft investieren“, so Taavi Madiberk, CEO des estnischen Einhorns Skeleton Technologies, der Energiespeicher produziert.

Die Unicorn-Gründer drängen darauf, dass die öffentliche Hand als Pilotkunde Innovationen im Frühstadium mit geringem bürokratischen Aufwand und dem klaren Mandat zur Übernahme von Risiken kaufen darf.

Die öffentliche Beschaffung hat keinen besonders innovationsfreudigen Ruf in Deutschland. Bund, Länder und Kommunen geben zwischen 350 Mrd. € und 500 Mrd. € jährlich für Produkte und Dienstleistungen aus: In Innovationen könnten schätzungsweise 10 % bis 15 % dieser Summe fließen. Das wäre mehr als jede Innovationsförderung bewegen könnte. Der Gesetzgeber hat zwar die Einbeziehung strategischer Ziele gestärkt: Bei der Auftragsvergabe können qualitative, soziale, umweltfreundliche oder innovative Aspekte berücksichtigt werden.

„In der Praxis zählt aber weiterhin allein der Preis“, stellt eine Studie der Universität der Bundeswehr in München fest. Das billigste ist nicht unbedingt das wirtschaftlichste Angebot, aber „eine Kosten-Nutzen-Analyse oder eine lebenszyklusbasierte Kostenrechnung sind bei Weitem nicht etabliert“. Wären sie es, würden innovative Produkte und Dienstleistungen, z. B. von Start-ups, wahrscheinlicher zum Zuge kommen.

In Berlin etwa hatte sich eine Arbeitsgemeinschaft aus drei Start-ups einen Großauftrag des landeseigenen Immobiliendienstleisters BIM (Berliner Immobilienmanagement GmbH) gesichert. Die BIM suchte Anbieter von innovativen Technologien, um Feuerwehren, Polizeistationen, Schulen und Museen in der Hauptstadt energetisch zu sanieren. Die Maßnahmen sollten skalierbar sein, die Investitionen möglichst gering und sich schnell durch Einsparung von Energiekosten amortisieren.

Perto, MyWarm und eGain bündeln die Temperaturprognosesteuerung der Heizkessel, den intelligenten hydraulischen Abgleich der Heizkörper und den Austausch ineffizienter Pumpen.

„Wir arbeiten sehr gerne mit Start-ups zusammen, da diese eine andere Dynamik, Flexibilität und den Innovationscharakter in Projekte einbringen“, so Johanna Steinke, Leiterin Kommunikation und Marketing bei BIM.

Matthias Berg vom Kompetenzzentrum Innovative Beschaffung (KOINNO) beim Bundesverband für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) berät und zertifiziert im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums öffentliche Entscheider. Ein einfacher Hebel für die Beschaffung von Innovationen sei: weg von klassischen Leistungsverzeichnissen, hin zu funktionalen Leistungsbeschreibungen.

„Heute sagt der Bedarfsträger: Ich hätte gern einen roten VW Golf und der muss in vier Wochen auf dem Hof stehen. Die Beschaffungsstelle hat kaum eine Möglichkeit zu fragen: Hm, brauchst du wirklich einen Golf? Brauchst du vielleicht eine Mobilitätslösung? Es ist schon in aller Deutlichkeit festgelegt, was man haben will, und nicht, was das Problem ist.“ Manche Formulierung schließt Gründer dabei praktisch aus. „Wenn ich 35 Referenzen, mindestens 80 Angestellte und eine Eigenkapitalquote von 6 Mio. € fordere, wird es für Start-ups schwierig“, so Berg.

Südkorea und die USA haben Quoten für die öffentliche Beschaffung von Innovationen. Die internationalen Vergleiche sind jedoch ungenau. „In anderen Regionen existieren wesentlich zentralisiertere Strukturen“, sagt Berg. In der Bundesrepublik gebe es schätzungsweise bis zu 30 000 Vergabestellen. Dies bedeute eine Vielzahl an Beschäftigten, die entsprechendes technisches Know-how und einen Marktdurchblick brauchen.

Jungunternehmen empfiehlt KOINNO, sich auf den E-Vergabeplattformen von Bund und Ländern bzw. für die europaweiten Ausschreibungen in der TED-Datenbank (Tenders Electronic Daily) der EU umzuschauen. Berg: „Man muss in Dialog mit den öffentlichen Häusern treten, um zu erfahren, was sie eigentlich wünschen.“

„Diese sollen den Bedarf oder besser ihre Herausforderung klar definieren, sodass jemand von außen diese verstehen und das entsprechende Produkt anbieten kann“, sagt Juan Carmona-Schneider vom Zentrum für Innovation und Technik (Zenit), das Innovations-, Förder- und Europaagentur des Landes NRW und zugleich EU-Kontaktstelle von KOINNO ist. Die EU hat Instrumente, die PCP (Pre-Commercial Procurement) und PPI (Public Procurement of Innovative Solutions), mit denen sie innovationsorientierte Beschaffung fördert. Dem Zenit-Experten zufolge ist die öffentliche Hand eine gute Referenz und bringt Folgeaufträge mit sich.

 

Dieser Beitrag stammt aus den VDI Nachrichten Nr. 21, Seite 25, 28. Mai 2021.