Prof. Dr. Michael Eßig von der Universität der Bundeswehr München eröffnete in Hannover am 27. November 2019 vor 120 Teilnehmern aus Bund, Ländern und Kommunen die Fachtagung Bioökonomie, die gemeinsam von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) und dem Kompetenzzentrum innovative Beschaffung (KOINNO) durchgeführt wurde. Das Thema: Wie können innovative und ökologische Aspekte vermehrt Eingang in die öffentliche Beschaffung finden?
Der Staat als Vorbild in der Pflicht
In seinen einleitenden Worten betonte Dr. Torsten Gabriel (FNR), dass der Begriff „Bioökonomie“ erklärungsbedürftig sei, aber eine logische Konsequenz aus dem viel diskutierten Klimawandel und der damit einhergehenden Ressourcenwende sei. Er nannte dabei als Beispiel die Bauwirtschaft, in der ein Umdenken stattfinden müsse, so dass Naturbaustoffe in höherem Maße Verwendung finden.
Der Mehrwert sei allerdings schwer nachweisbar, weshalb viel Überzeugungsarbeit notwendig sei. Vor allen Dingen seien Investitionen in nachwachsende Rohstoffe wichtig, um eine solche Wende zu meistern. Dabei sei auch auf die Nachhaltigkeit zu achten, die durch Gütesiegel und Umweltzeichen bescheinigt werden könne. Hier sieht er den Staat in seiner Vorbildfunktion in der Pflicht, der seine Marktmacht in diesem Sinne einsetzen könne.
Schlüsselfrage: Wie verstehen wir in Deutschland die Beschaffung als Profession?
Prof. Dr. Eßig spannte den Bogen zwischen Nachhaltigkeit und Innovation in der öffentlichen Beschaffung: Beides sind laut Vergaberecht strategische Ziele und fanden vorher als vergabefremde Aspekte Eingang in die Beschaffung. Er sieht die Politik in der Pflicht, diese strategischen Ziele ganz oben auf die politische Agenda zu setzen, was letztlich auch Auswirkungen auf die strategische Ausrichtung von öffentlichen Beschaffungsstellen habe (siehe KOINNO-Beitrag).
Dann könne ein Teil des jährlichen Beschaffungsvolumens von rund 350 Mrd. Euro auch in diesem Sinne eingesetzt werden. Die dadurch ausgelösten jeweiligen Impulse würden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) in beiden Bereichen übersteigen. Die Privatwirtschaft habe das bereits erkannt und hätte sich auf den Weg gemacht. Dabei sei das Management der Lieferanten besonders wichtig, um die Nachhaltigkeit in der Supply Chain zu gewährleisten und gemeinsam Innovationen anzustoßen. Das gelte sowohl für den privaten wie auch für den öffentlichen Sektor.
Dennoch ergab die neuste Umfrage unter öffentlichen Beschaffern von 2018, dass Vergaberechtskonformität immer noch die oberste Zielsetzung ist und strategische Zielsetzungen wenig beachtet werden (siehe KOINNO-Beitrag).Ein weiterer wichtiger Punkt sei die Kommunikation zwischen Beschaffungs- bzw. Vergabestelle und dem Bedarfsträger, die meistens eher schwierig sei, obwohl hier das größte Einsparpotential in der Beschaffung liege.
Dies sei auch ein Ergebnis der neusten OECD-Studie, die die aktuelle Situation der öffentlichen Beschaffung in Deutschland unter die Lupe genommen hat (zur OECD-Studie).Das Resümee: langfristig müsse die Politik sich überlegen, wie sie die Beschaffung als Profession verstehe und dementsprechend die Rahmenbedingungen schaffen.
Die Lebenszykluskostenberechnung hilft bei der Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots
Jun.-Prof. Christian von Deimling an der Universität der Bundeswehr München führte in die innovative Methode der Lebenszykluskostenberechnung (LZK-Berechnung) ein (-> KOINNO-Toolbox). Laut § 31 VGV dürfen auch andere Kostenbestandteile als nur der Anschaffungspreis zur Entscheidungsfindung herangezogen werden. In der Praxis wird dies jedoch nur bedingt angewendet, wie die Umfrage der Universität der Bundeswehr zeigt (siehe KOINNO-Beitrag).
Von Deimling zeigte anhand des Beispiels einer Werkzeugmaschine auf, dass bis zu 70 Prozent der Folgekosten nicht in den ursprünglichen Angeboten enthalten seien und letztlich die Kosten viel höher lägen als ursprünglich veranschlagt. Hier könnte eine LZK-Berechnung bereits vor der Beschaffung helfen, da sie alle Kostenbestandteile über den Lebenszyklus hinweg als Schätzwerte mit einbezieht. Voraussetzung dafür ist eine gute Datengrundlage und ein über die Beschaffung hinausgehendes LZK-management. Das heißt, ein kontinuierlicher Vergleich der geschätzten und tatsächlichen Kosten, um Erfahrungswerte zu sammeln.
Eine Auswertung der TED-Datenbank (Tender Electronic Daily) zeigt jedoch, dass auch für Büromöbel weitgehend nur der Anschaffungspreis als Angabe gefordert werde. Dabei würden in Europa allein jährlich 10 Mio. Tonnen an Büromöbeln verschrottet, während gleichzeitig in Deutschland Büromöbel mit einem durchschnittlichen Beschaffungsvolumen zwischen 700.000 bis 800.000 Euro neu angeschafft würden. Hier stellt sich die Frage, ob dies im Sinne der Nachhaltigkeit ist.
In der Stadt Regensburg ist Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema innerhalb einiger Vergaben
Die Leiterin des Vergabeamtes der Stadt Regensburg, Waltraud Spangel, gab Einblicke in ihre tägliche Vergabepraxis. Sie gab zu, dass sie sich an die LZK-Berechnung nicht herantrauen, allerdings einige Kriterien anwenden würden. Sie hätten gute Erfahrungen mit Wertungsmatrizen gemacht, in denen sie verschiedene Aspekte mit einer Drei-Punkte-Skala bewerten und gewichten würden.
Beispiele hierfür waren die Beschaffung von Spielzeug ohne Plastikanteil und die Beschaffung von Bürostühlen. Hier gab sie an, dass der Preis mit 60 Prozent auf die Vergabeentscheidung Einfluss nehmen würde, während ergonomische Eigenschaften und Qualität jeweils zu 20 Prozent eingehen würden. Für weitergehende positive Eigenschaften gäbe es auch Extrapunkte, bspw. bei mehr Jahren für die Garantie. Für dieses Vorgehen sei die Expertise der Fachbereiche und eine funktionale Leistungsbeschreibung wichtig.
Ein weiteres Plus: von politischer Seite wird in Regensburg die Beachtung der Nachhaltigkeit erwartet, was laut Spangel sehr hilfreich sei.
Die Präsentationen zur Veranstaltung
09:30 Uhr, Prof. Dr. Michael Eßig, Universität der Bundeswehr München, „Der Schlüssel zum nachhaltigen Einkauf: Einkaufsstrategie, Beschaffungsmanagement und Markterkundung"
11:30 Uhr, Jun.-Prof. Christian von Deimling, Universität der Bundeswehr München, „Lebenszykluskosten - berechnen am Beispiel Büromöbel”
12:00 Uhr, Horst Fehrenbach, ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH, „Ökobilanzierung von pflanzenbasierten Reinigungsmitteln und Schmierstoffen”
12:00 Uhr, André Müller, TAT Technik Arbeit Transfer gGmbH, „Ökobilanzierung von pflanzenbasierten Reinigungsmitteln und Schmierstoffen”
12:40 Uhr, Jacqueline Ahlbach, Dentons Europe LLP, „Bewertung und Zuschlagserteilung am Beispiel nachhaltiger Arbeitskleidung”
14:00 Uhr, Waltraud Spangel, Stadt Regensburg, „Vergaberechtliche Rahmenbedingungen für eine innovative Beschaffung”
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