Innovation und Nachhaltigkeit gehen oft Hand in Hand. Die Beschaffung von nachhaltigen, innovativen Produkten und Dienstleistungen stellt den öffentlichen Sektor allerdings vor einige Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Im gemeinsamen Interview geben Monika Missalla-Steinmann (FNR) und Susanne Kurz (KOINNO) Einblicke, wie beides miteinander vereinbar sein kann.
Nachhaltigkeit ist ein derzeit ein viel diskutiertes Thema. Umweltschutz, Ressourcenschonung, Plastikvermeidung – alles Aspekte, die auch der öffentliche Einkauf beachten soll. Welchen Herausforderungen sehen sich Beschaffungsstellen beim Thema Nachhaltigkeit gegenüber?
Missalla-Steinmann: Nachhaltige und insbesondere pflanzenbasierte Produkte sind meist erklärungsbedürftig und passen nicht per se in den standardisierten öffentlichen Einkauf. Der Markt muss stärker sondiert und Materialeigenschaften sowie ökologische Vorzüge und die entsprechenden Gütezeichen hinterfragt werden. Es ist notwendig, eine fundierte Marktsondierung vorzunehmen. Das wird dadurch erschwert, dass die Anbieter auf dem Markt aus vielen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) oder kreative Start-ups mit kleinen Sortimenten bestehen, die zudem strukturelle Herausforderungen bei umfangreichen Rahmenverträgen lösen müssen.
Zudem müssen die jeweiligen (Material-)Eigenschaften genau unter die Lupe genommen werden, um die ökologischen Vorzüge realistisch einschätzen zu können. Gütezeichen helfen dabei zwar, allerdings sollten auch diese kritisch hinterfragt werden. Die grundsätzliche Bereitschaft öffentlicher Endscheidungsträger und die Mitarbeiterschulung gelten als Schlüssel für das Gelingen einer nachhaltigen und innovativen Beschaffung.
Kurz: Eine fundierte Markterkundung ist für alle Beschaffungsvorgänge vorteilhaft, aber besonders für komplexere Beschaffungsbedarfe wie es bei nachhaltigen bzw. pflanzenbasierten Produkten und Dienstleistungen der Fall ist. Die Analyse der Beschaffungsmärkte und die Marktbeobachtung im Sinne eines „Innovations-Scoutings“ helfen dabei, nachhaltige Produktlösungen zu identifizieren und innovative Entwicklungstrends zu prognostizieren. Das fördert nicht nur die Beschaffung von nachhaltigen Bedarfen, sondern auch die Entwicklung von innovativen – also neuen – Produkten und Dienstleistungen.
Ist die Beachtung von Nachhaltigkeit bei der Vergabe ein Widerspruch zur Wirtschaftlichkeit?
Missalla-Steinmann: Die ökonomische Komponente ist Teil der Nachhaltigkeitsbetrachtung und kein Widerspruch dazu. Insofern müssen ökologische und soziale Vorteile immer auch gegen die entsprechenden Kosten abgewogen werden, die jedoch nicht zwingend höher ausfallen müssen.
Das Öko-Institut e.V. hat bereits vor einiger Zeit die Umwelt-und Kostenentlastung einer umweltverträglichen gegenüber einer konventionellen Beschaffung am Beispiel des Landes Berlin untersucht. Dabei wurden Kosten und Umweltwirkungen von 15 unterschiedlichen umweltfreundlichen mit marktüblichen konventionellen Produktgruppen verglichen. Bei der Auswertung der Kosten zeigte sich, dass die umweltverträglichen Beschaffungsvarianten in 10 von 15 Produktgruppen in ihren Lebenszykluskosten günstiger waren. Die Summe der umweltverträglich beschafften Produkte und Dienstleistungen führte zu einer berechneten Kostenentlastung von 38 Mio. Euro pro Jahr. Bezogen auf das Beschaffungsvolumen der untersuchten 15 Produktgruppen und Dienstleistungen von rund 1 Mrd. Euro bieten sich hier Kosteneinsparungen von rund 4 Prozent.
Auch die jährlichen Treibhausgasemissionen der untersuchten Produktgruppen und Dienstleistungen sanken gemäß der Hochrechnung ─ ausgehend von rund 757.000 Tonnen CO2-Äquivalenten ─ um einen Betrag von rund 355.000 Tonnen, d.h. rund 47 Prozent (-> zur Studie des Öko-Instituts e.V.).
Das heißt, dass neben der Markterkundung die Betrachtung der Lebenszykluskosten in diesem Kontext entscheidend ist?
Kurz: Absolut.Durch den direkten Vergleich aller Produktkosten entlang des Lebenszyklus ist es möglich, eventuell höhere Anschaffungskosten für ein umweltfreundliches gegenüber eines herkömmlichen Produkt wirtschaftlich zu rechtfertigen. Denn oftmals sind die Folgekosten für ein umweltfreundliches Produkt geringer. Bei der Vergleichsrechnung werden vor allem die Verbrauchskosten für Energie, Wasser, Ersatzteile sowie die Kosten für Wartung, Instandhaltung und Entsorgung berücksichtigt. Mit der Lebenszykluskostenrechnung kann unter wirtschaftlichen und umweltfreundlichen Aspekten die optimale Produktlösung im Rahmen der Angebotswertung identifiziert werden.
Die Basis hierfür wird bereits in der Leistungsbeschreibung gelegt, indem die technischen und funktionalen Spezifikationen als Wertungskriterien neben dem Preis von Bedeutung sind. So könnte die erwartete Produktlebensdauer oder eine Höchstgrenze für CO2-Ausstoss vorgegeben werden. Deshalb hat die Forschungsgruppe für Recht und Management öffentlicher Beschaffung (FoRMöB) der Universität der Bundeswehr München im Auftrag des Kompetenzzentrums ein Tool entwickelt, mit dem Lebenszykluskosten berechnet werden können (-> zum LZK-Toolpicker).
Gibt es bestimmte Produkte bzw. Dienstleistungen, die bereits heute sehr gut nachhaltig beschaffbar sind?
Missalla-Steinmann: Es gibt in den Bereichen Strom und Wärme, bei der Energieeffizienz und der Schadstofffreiheit bereits viele nachhaltige Produkte. Viele davon verfügen über den Blauen Engel. Marktstudien der FNR haben ergeben, dass im Büroartikelbereich 75 Prozent der konventionellen Produkte durch Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen ersetzt werden können. Im Wasch- und Reinigungsmittelbereich sind nahezu 100 Prozent pflanzenbasierte Produkte verfügbar. Auch (Büro-)Möbel aus Holz sowie Fußbodenbeläge gibt es in großer nachhaltiger Auswahl (-> zu „Nachwachsende Produktwelt“).
Ein Hemmnis stellt jedoch die Tatsache dar, dass Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen für den Nachweis der nachhaltigen Rohstoffquelle ein weiteres Gütezeichen benötigen, um mit dem im öffentlichen Sektor privilegierten Blauen Engel ausgezeichnet zu werden. Das kostet Geld und personellen Einsatz. Dies können die oft kleinen Anbieterfirmen nicht leisten. Das heißt aber nicht, dass ihre Produkte nicht nachhaltig sind. Hier dürfte die öffentliche Hand ruhig mutiger sein, denn Produkte aus Pflanzen sind gut fürs Klima und Innovationen bedeuten oft auch neue Arbeitsplätze.
Kurz: „Es gibt noch viel zu diskutieren. Unter anderem welche praktischen Hilfestellungen, Methoden und Instrumente es heute schon gibt, um Nachhaltigkeit in die öffentlichen Beschaffungsprozesse zu integrieren. Deshalb veranstalten wir gemeinsam mit der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) eine Fachtagung. Seien Sie am 27. November 2019 in Hannover dabei und diskutieren Sie mit. Wir freuen uns auf Sie!“
Erfahren Sie mehr über die Fachtagung Bioökonomie der FNR und KOINNO
Das Interview führte Jutta Ohrnberger, Projektmanagerin Kompetenzzentrum innovative Beschaffung (KOINNO).