ENGINIUS ist eine Tochtergesellschaft der FAUN Gruppe. Sie stellt Nutz- und Spezialfahrzeuge (insbesondere Abfallsammelfahrzeuge) mit alternativen Antrieben her und hat sich den klimaneutralen Lastverkehr zum Ziel gesetzt. Der Prototyp des BLUEPOWER (Abfallsammelfahrzeuge) wurde 2018 vorgestellt. Mittlerweile sind 45 Müllfahrzeuge im Einsatz, wie beispielsweise in Berlin, Duisburg, Bochum und Freiburg. Mit Geschäftsführer Burkard Oppmann konnte KOINNO über Innovationen für den öffentlichen Sektor im Bereich Wasserstoff sowie die Rolle von Beschaffung in diesem Kontext sprechen.
Herr Oppmann, wie bewerten Sie die aktuellen politischen Rahmenbedingungen für Unternehmen im Kontext Wasserstoff?
Oppmann: Aktuell beschäftigt uns als Nutzfahrzeughersteller sehr das Thema Förderung. Wir beobachten den dritten Förderaufruf des Bundesverkehrsministeriums für klimafreundliche Nutzfahrzeuge. Dieser ist aus unserer Sicht in seiner aktuellen Form jedoch für unsere Branche nicht kundenspezifisch anwendbar. Viele unserer Kunden haben Förderanträge eingereicht und sehr viele davon werden aufgrund zu geringer Kilometerleistung abgelehnt. Dabei spielen diese gerade bei Abfallsammelfahrzeugen eine untergeordnete Rolle.
Ein Abfallsammelfahrzeug stößt pro Tag auf 100 Fahrkilometer gerechnet zum Beispiel das Vierfache an CO2 eines herkömmlichen LKW in der Spedition aus, da es wesentlich mehr als fahrende Arbeitsmaschine eingesetzt wird. So kommen trotz wenig gefahrener Kilometer hohe CO2-Werte zu Stande, die durch Wasserstoff reduziert werden könnten. Wir sehen, dass Anträge von Kommunen auch abgelehnt werden, obwohl diese über eine Tankstelleninfrastruktur verfügen, der ÖPNV eingebunden ist, etc., die Fahrzeuge also regelmäßig betankt werden können. Die vorhandenen Strukturen könnten hier erheblich besser genutzt werden. Das ist wirklich schade.
Kommunale Entsorgungsunternehmen nutzen zur Herstellung von Wasserstoff Strom aus der Müllverbrennung und Biogas. Welche Skalierungsmöglichkeiten sehen Sie hier?
Oppmann: Die Wasserstofferzeugung aus der Müllverbrennung fällt unter den sogenannten orangenen Wasserstoff. Auch wenn es sich nicht um grünen Wasserstoff handelt, ist es in diesem Fall jedoch sehr positiv zu bewerten, da wir einen geschlossenen Kreislauf vorliegen haben: Das Müllfahrzeug wird mit dem eingesammelten Müll, bzw. dem daraus gewonnenen Wasserstoff wieder betankt.
In Deutschland haben wir etwa 68 Müllverbrennungsanlagen – jede davon könnte durch Elektrolyse Wasserstoff produzieren, die Voraussetzungen sind gegeben. Mancherorts wird bereits im größeren Stil auch der der ÖPNV so betrieben. Eine Skalierung ist in jedem Fall gut möglich.
Was brauchen Unternehmen von der öffentlichen Hand, um die Wasserstofftechnologie flächendeckend zu etablieren?
Oppmann: Um wasserstoffbetriebene Fahrzeuge flächendeckend zu nutzen, bedarf es aus unserer Sicht nun weiterer Wasserstofftankstellen. Wir sehen aber auch, dass sich die Mineralölkonzerne bei diesem Thema bewegen und eigene Projekte umsetzen. Ein ebenfalls wichtiger Baustein ist weitere Förderung. Die Wasserstofftechnik soll ein Exportschlager werden und das Potenzial hat sie auch, benötigt aber einen Anschub.
Um auch preislich mithalten zu können, müssten wir in Deutschland eigene Brennstoffzellen herstellen und so den globalen Wettbewerb anregen. Derzeit liegen wir für ein Müllfahrzeug im Verkauf, je nach Ausführung, bei 700.000 bis 800.000 €, das ist noch nicht wirtschaftlich. Ziel ist daher, in vier bis fünf Jahren bei dieselähnlichen Preisen anzukommen.
Welche Bedeutung spielen regionale Wasserstoff-Initiativen bzw. Hubs?
Oppmann: Hubs haben eine große Bedeutung aufgrund ihrer Regionalität. Regional lässt sich steuern, dass das Thema Wasserstoff in Gemeinden, Kreisen oder Städten inhaltlich vorangetrieben wird. Aus der Ferne ist das gar nicht umsetzbar. Soweit es uns möglich ist, beteiligen wir uns als Unternehmen. Bestehende Netzwerke sollten weiter ausgebaut werden.
Ein schönes Beispiel ist die Wasserstoffwirtschaft in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, da sich beide Bundesländer intensiv mit der Umsetzung der Energiewende einmal zur Umsetzung des alternativen Antriebs sowie gleichzeitig mit der Herstellung von grünem Wasserstoff auseinandersetzen und zusammenarbeiten. Dieses Beispiel müsste man eigentlich auf den Rest der Republik übertragen. Öffentliche Beschaffung kann in Deutschland den Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft, bzw. von brennstoffzellenbetriebenen Straßen-, Schienen- und Wasserfahrzeugen unterstützen.
Wie funktioniert hier das Zusammenspiel zwischen Anbietern und Auftraggebern?
Oppmann: 95% der Auftraggeber sind kommunale Träger, insbesondere Kommunen, die ihre Abfallentsorgung selbst durchführen. Darunter gibt es einige Pioniere, mit denen die Entwicklung gemeinsam vorangetrieben und Praxiserfahrung gesammelt werden kann. Es ist für uns wichtig zu wissen, welche Leistung das Fahrzeug erbringt, wo das Fahr- oder Ladepersonal gegebenenfalls möglicherweise Probleme hat etc. und sowas bekommt man nur im laufenden Betrieb mit. Für den technischen Austausch haben wir zusätzliches Personal in den Regionen.
Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, damit die öffentliche Beschaffung ihr volles Potenzial entfalten kann?
Oppmann: Dafür bedarf es in erster Linie einer gezielten Förderung, anstatt des Gießkannenprinzips. Die Infrastruktur – Tankstellen etc. – müssen entstehen, um die Fahrzeuge reibungslos nutzen zu können. Grundsätzlich sollte bei der Förderung im Bereich Wasserstoff mehr Praxiserfahrung einbezogen werden und Experten mit der Betreuung beauftragt werden.
Wie sind Sie bisher an Aufträge gekommen?
Oppmann: In erster Linie waren dies reine Ausschreibungen – die wiederum auf Förderprojekten beruhen. Den ersten Förderaufruf haben wir mit initiiert und auf den Weg gebracht. Der Fördermitteltopf deckt bei den Kommunen 90% der Mehrkosten im Vergleich zu einem herkömmlichen Müllfahrzeug. So sind wir für uns mit großen Stückzahlen auf den Markt gekommen. Aus der ersten Ausschreibung haben sich 160 Fahrzeuge ergeben. Man muss dazu sagen, dass wir in unserer langen, zwölfjährigen Pionierzeit das Thema gut umsetzen konnten.
Darüber hinaus sehe ich große Chancen bei den Fernverkehrs-LKW, diese mit Brennstoffzellenantrieb auszurüsten. Neue Geschäftsbereiche tun sich auch im Bereich Mietfahrzeuge auf, um das Tanken, bzw. Laden der Fahrzeuge zu erleichtern. Auch Mineralölkonzerne und Tankstellenbetreiber werden hier tätig und vermieten die vollgetankten Fahrzeuge von ihrem Standort aus. Ob sich diese Konzepte durchsetzen werden, lässt sich heute noch schwer sagen.
Welche Erfolgsfaktoren bzw. Hindernisse konnten Sie bei der Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen identifizieren?
Oppmann: Die Mitgestaltung des Förderaufrufs war definitiv ein Erfolgsfaktor für FAUN und ENGINIUS. Außerdem sind wir zur Zeit der einzige Hersteller von Abfallsammelfahrzeugen, die mit einer Brennstoffzelle betrieben werden, woraus sich ein Alleinstellungsmerkmal ergibt.
In den Förderaufrufen sind aber auch reine batterieelektrischen Fahrzeuge, also so genannte BEV, das ist die Abkürzung für Battery Electric Vehicle, enthalten und da gibt es etliche Anbieter. Aber auch das Thema Ladeinfrastruktur ist genauso gefragt wie Wasserstofftankstellen. Hindernisse gab es keine in diesem Fall. Es sind normale Ausschreibungen und wir haben im Team zwei Personen, die sich mit dem Thema befassen.
Anhand Ihres Unternehmens wird deutlich, dass mit der Wasserstofftechnologie neue Geschäftsfelder für Unternehmen entstehen, wie das sogenannte Retrofitting. Welche weiteren Chancen sehen Sie in den kommenden Jahren für die deutsche Wirtschaft?
Oppmann: Großes Potenzial für Retrofitting (= die Modernisierung und Nachrüstung von bestehenden Anlagen und Betriebsmitteln) bietet sicherlich das gesamte Transportgewerbe, insbesondere der Verteilerverkehr. Im Verteilerverkehr in Städten und auch dem Umland bedarf es Fahrzeugen kleinerer Struktur, um auch in kleinen Kommunen das Thema Wasserstoff umzusetzen. Dort arbeiten wir an einem neuen Konzept für kleinere LKW. In Deutschland werden circa 18.000 Stück pro Jahr von diesen Verteilerfahrzeugen zugelassen.
Welche Teile der Wertschöpfungskette müssten Ihrer Meinung nach am Industriestandort Deutschland bzw. Europa noch gestärkt/vermehrt ausgebaut werden?
Oppmann: Die Produktion des Wasserstoffs selbst und dessen Preisentwicklung müssen forciert werden. Außerdem gibt es aktuell noch keine einheitliche Betankungslösung für Wasserstoff. Es gibt viele, die mit 700 bar und andere mit 350 bar betanken, das ist jedoch nicht für jedes Fahrzeug entsprechend nutzbar. Hier muss sich eine einheitliche Struktur entwickeln. Dabei spielt auch Standardisierung eine entscheidende Rolle. Das gilt sowohl für Tankstellen als auch die Fahrzeugtechnik selbst.
Ich würde einen europäischen Weg unter möglicher deutscher Führung bevorzugen. Wir müssen in ganz Europa in die notwendige Wasserstoffinfrastruktur investieren – Wasserstofffahrzeuge werden nicht gekauft, wenn sie nicht europaweit betankt werden können.
Welche Wachstumsmöglichkeiten sehen Sie für Enginius in den kommenden Jahren?
Oppmann: Das Thema BLUEPOWER oder wasserstoffbetriebene Fahrzeuge müssen wir erstmal in Deutschland etablieren und stabilisieren. Wenn die Technik reibungslos funktioniert, gehen wir damit auf die Exportmärkte zu. Wir sind in fast allen europäischen Staaten mit Händlern, eigenen Herstellerwerken oder Niederlassungen vertreten und können uns gut auf die jeweiligen Bedingungen der Länder einstellen.
Mehr Informationen zum Unternehmen unter www.enginius.de
Dieses Interview wurde im Rahmen des KOINNOmagazins zum Thema Grüner Wasserstoff im April 2023 geführt. Titelbild: Enginius
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