Nach einem umfassenden Konsultationsverfahren mit ca. 450 Stellungnahmen hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz einen Referentenentwurf für das Reformvorhaben „Transformation des Vergaberechts“ vorgelegt. Im Fokus dieses Vorhabens: die stärkere Einbindung von innovativen und nachhaltigen Aspekten in die öffentliche Beschaffung.
Im Jahr 2021 und im ersten Halbjahr 2022 wurden laut Vergabestatistik in nur etwa 12,5 % aller gemeldeten öffentlichen Aufträge nachhaltige Kriterien berücksichtigt. Unter nachhaltigen Kriterien versteht die Vergabestatistik sowohl soziale und umweltbezogene als auch innovative Kriterien. Bei der öffentlichen Beschaffung spielen diese Kriterien bislang daher kaum eine Rolle. Dabei wird davon ausgegangen, dass allein mindestens 10 % der öffentlichen Beschaffungen als innovationsrelevant eingestuft werden können.
Vor diesem Hintergrund sehen der Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ und die „Wachstumsinitiative – neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland“ unter anderem vor, dass die Bundesregierung die öffentliche Beschaffung sozial, ökologisch und innovativ ausrichten wird. Diese Ziele sollen mit dem sog. Vergabetransformationspaket umgesetzt werden.
Dieses Paket liegt seit 18. Oktober 2024 als Referentenentwurf vor und enthält zahlreiche Änderungsvorschläge zu den vergaberechtlichen Vorgaben – insbesondere zur Stärkung von innovativen und nachhaltigen Aspekten im Vergabeverfahren.
Startups im Vergabeverfahren
Das Innovationspotenzial von Startups kann ein wichtiges Element für die Digitalisierung der Verwaltung sowie die Verkehrs- und Energiewende sein. Das Reformpaket beabsichtigt, die Innovationskraft von Startups für die staatliche Aufgabenerfüllung über die öffentliche Auftragsvergabe zu heben. Damit sollen zugleich innovative Lösungen gefördert und Anreize für zukünftige Investitionen gesetzt werden.
Anstelle von Startups spricht das Reformpaket von „jungen Unternehmen“, meint aber dasselbe. Um die Beteiligung von jungen Unternehmen an der öffentlichen Auftragsvergabe zu stärken, sieht das Paket die Berücksichtigung dieser Unternehmen an verschiedenen Stellen des Vergabeverfahrens vor.
Auftraggeber haben sog. Eignungskriterien aufzustellen und die einzureichenden Eignungsnachweise festzulegen. Diese Eignungskriterien und Eignungsnachweise dienen als Grundlage für die Prüfung der Eignung von Bewerbern und Bietern. Das Reformpaket sieht vor, dass Auftraggeber die besonderen Umstände von jungen Unternehmen bei der Auswahl dieser Kriterien und Nachweise zu berücksichtigen.
Zudem sollen Auftraggeber verpflichtet werden, alternative Eignungsnachweise zuzulassen, wenn junge Unternehmen die geforderten Eignungsnachweise nicht beibringen können. Damit sollen die Teilnahmemöglichkeiten von jungen Unternehmen an öffentlichen Aufträgen verbessert und dadurch der Wettbewerb in Vergabeverfahren gestärkt werden.
In Verhandlungsverfahren und Verhandlungsvergaben ohne Teilnahmewettbewerb haben Auftraggeber eine bestimmte Anzahl von Unternehmen für die Aufforderung zur Angebotsabgabe auszuwählen. Bei der Auswahl der Unternehmen sind Auftraggeber weitestgehend frei. Nach dem Reformpaket sollen regelmäßig auch geeignete junge Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Damit soll der strukturelle Nachteil ausgeglichen werden, dass junge Unternehmen häufig nur geringe Berührungspunkte mit der öffentlichen Auftragsvergabe haben.
Das Reformpaket nimmt zudem die Zahlungsmodalitäten in den Blick. Es geht davon aus, dass insbesondere Rechnungszyklen und das Zahlungsziel die Teilnahme von jungen Unternehmen am Vergabeverfahren behindern können. Nach dem Reformpaket sollen Auftraggeber künftig in den Vertragsunterlagen geeignete Zahlungsmodalitäten vereinbaren, welche die besonderen Umstände von jungen Unternehmen berücksichtigen.
Dies könne etwa durch die Vereinbarung von Vorauszahlungen bei Auftragserteilung, von Abschlagszahlungen oder von kurzen Zahlungsfristen geschehen.
Innovative Aspekte im Vergabeverfahren
Die aktuellen Vergabebestimmungen gestatten die Berücksichtigung von innovativen Aspekten im Vergabeverfahren auf allen Stufen des Vergabeverfahrens, beispielsweise in der Leistungsbeschreibung oder bei den Zuschlagskriterien. Mit der Innovationspartnerschaft steht zudem eine Verfahrensart im Oberschwellenbereich zur Verfügung, die der Beschaffung von innovativen Lösungen dient, aufgrund ihrer Komplexität aber in der Vergabepraxis bislang kaum eine Rolle spielt.
In einzelnen Ländern gibt es auch für den Unterschwellenbereich Regelungen, die eine starke Erleichterung bei der Verfahrenswahl vorsehen, wenn eine innovative Lösung beschafft (siehe sog. Experimentierklausel in Hamburg) oder Startups zur Angebotsabgabe aufgefordert (siehe sog. Pilotprojekt für innovationsfreundliche Vergabe an Start-ups in Baden-Württemberg) werden.
Ähnliches sieht das Reformpaket für Verfahren nach der Unterschwellenvergabeordnung vor. Hiernach soll ein sog. Direktauftrag, also die Vergabe eines öffentlichen Auftrags ohne die Durchführung eines Vergabeverfahrens an ein Unternehmen, bis zu einem voraussichtlichen Auftragswert von 100.000 Euro netto zulässig sein, wenn dieser Auftrag innovative Lösungen umfasst. Voraussetzung ist, dass der Auftrag an junge kleine und mittlere Unternehmen oder an gemeinwohlorientierte Unternehmen vergeben wird.
Mit dieser Regelung sollen die Berührungspunkte zwischen Auftraggebern und Unternehmen mit innovativen Lösungen vergrößert und die Annäherung zwischen den beiden Bereichen gefördert werden.
Innovative Lösungen können auch als Nebenangebote im Vergabeverfahren eingebracht werden – sofern solche Angebote denn zugelassen sind. Auf diese Weise profitieren nicht nur die Auftraggeber, die möglicherweise eine besonders wirtschaftlichen Lösung erhalten, sondern auch die Unternehmen, die mit einem solchen Angebot am Vergabeverfahren teilnehmen können.
Anders als bei Bauvergaben gilt für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen im deutschen Vergaberecht, dass die Einreichung von Nebenangeboten nicht zulässig ist, wenn der Auftraggeber dies nicht explizit bekanntgegeben hat.
Nach dem Reformpaket soll sich dies ändern: Auftraggeber werden hiernach verpflichtet, zu entscheiden und festzulegen, ob sie Nebenangebote zulassen. Dies soll eine vertiefte Auseinandersetzung der Auftraggeber mit dem positiven Nutzen des Instruments der Nebenangebote bewirken und dadurch deren Anwendung erhöhen.
Nachhaltige Kriterien im Vergabeverfahren
Angesichts der bislang eher zurückhaltenden Anwendung von nachhaltigen Kriterien im Vergabeverfahren sieht es das Reformpaket als „dringend geboten“, die sozial-ökologisch nachhaltige Beschaffung zu stärken und eine größere Klarheit und Verbindlichkeit für die Berücksichtigung von sozialen und umweltbezogenen Kriterien gesetzlich zu verankern. Das Reformpaket sieht hierfür ein dreistufiges Konzept vor.
Auf der ersten Stufe ist vorgesehen, dass Auftraggeber mindestens ein soziales und ökologisches Kriterium im Rahmen der Leistungsbeschreibung oder, soweit im Einzelfall mit Blick auf den Auftragsgegenstand geeigneter, auf anderen Stufen des Vergabeverfahrens zu berücksichtigen haben. Nur im begründeten Ausnahmefall dürfen Auftraggeber hiervon abweichen.
Auf einer zweiten Stufe ist eine ausnahmslose Verpflichtung der Auftraggeber zur Berücksichtigung von mindestens einem sozialen oder ökologischen Kriterium bestimmt. Sie gilt für die Beschaffung von Waren, Bau- und Dienstleistungen, die für eine umweltbezogen nachhaltige Beschaffung oder sozial nachhaltige Beschaffung besonders geeignet sind (z.B. IT-Hardware, Textilien, Papier, Holzwaren).
Auf der der dritten Stufe wird ein Beschaffungsverbot etabliert. Hiernach dürfen Auftraggeber bestimmte Leistungen nicht beschaffen (z.B. Einweggeschirr, Gas-Heizpilze, Baustoffe mit teilhalogenierten Fluorchlorkohlenwasserstoffen). Nur ausnahmsweise ist dies zulässig, wenn es aus Gründen des öffentlichen Interesses dringend geboten ist.
Ausblick
Die Umsetzung des Reformpakets wird schon aufgrund der teilweise obligatorischen Vorgaben dazu führen, dass innovative und nachhaltige Aspekte in der öffentlichen Beschaffung künftig eine weitaus größere Rolle spielen werden. Für Startups dürfte es zudem attraktiver werden, sich an der öffentlichen Beschaffung zu beteiligen. Mit der Umsetzung des Reformvorhabens ist bei gewöhnlichem Verlauf im zweiten oder dritten Quartal 2025 zu rechnen.
Die ist ein Beitrag aus dem KOINNOmagazin 02/24 von Frederic Delcuvé, Fachanwalt für Vergaberecht bei Becker Büttner Held PartGmbB. Das vollständige Magazin können Sie hier kostenfrei herunterladen.