Standardisierung für mehr Innovationen in der öffentlichen Beschaffung – das klingt für Sie paradox? Standards müssten doch eher ein Hemmschuh für Innovationen darstellen? Nicht zwingend! Wir werfen im Folgenden einen Blick auf den Prozess des Bedarfsmanagements und zeigen ein paar praktikable Ansätze zur Standardisierung auf, die Innovationen sogar den Weg ebnen können.
- Heterogenität und Abstimmungsschleifen
In der Praxis findet man eine heterogene Ausgestaltung der Beschaffungsprozesse vor. Dies beginnt bereits ganz am Anfang, beim Bedarfsmanagement. Bedarfe werden über verschiedene Wege und Kanäle an die Beschaffung kommuniziert, die enthaltenen Informationen sind oft unzureichend, sodass es an der Schnittstelle Beschaffung und Bedarfsträger zu teils unnötigen und zeitintensiven Abstimmungsschleifen kommt. Dadurch ist eine langfristige Bedarfsplanung häufig nicht oder nur sehr schwer möglich.
- Informationsasymmetrie
Ein weiteres Problem tritt auf: Ideen zur Beschaffung von Innovationen kommen meist aus den Fachabteilungen bzw. von den Bedarfsträgern und werden dann von der Beschaffungsabteilung umgesetzt. In den frühen Phasen der Beschaffung führt dies zu einer Informationsasymmetrie.
- Unsicherheiten
Zusätzlich existieren auf beiden Seiten große Unsicherheiten hinsichtlich Anforderungen und Spezifikationen sowie zur Realisierung und Wirtschaftlichkeit.
Um diese Informationsasymmetrien und Unsicherheiten zu reduzieren, könnte die Entwicklung eines systematischen Vorgehens, eines sogenannten Standards, Abhilfe schaffen. Im Rahmen der KOINNO-Standardisierung haben wir daher in einer Arbeitsgruppe gemeinsam mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern erste Lösungsansätze erarbeitet. Wir möchten im Folgenden darauf eingehen, welche verschiedenen Arten des Bedarfsmanagements es gibt und welche Rollen überhaupt involviert sind.
Auf die Art des Bedarfsmanagements kommt es an
Grundsätzlich kann zwischen kurzfristigem und langfristigem Bedarfsmanagement unterschieden werden. Das kurzfristige Bedarfsmanagement verfolgt das Ziel einer möglichst genauen Spezifikation des Beschaffungsobjektes. Mit einem langfristigen Bedarfsmanagement soll eine möglichst hohe Planungssicherheit erreicht werden. Erstrebenswert ist es also, den Anteil der planbaren Bedarfe möglichst groß zu halten, sodass umgekehrt weniger nicht planbare Bedarfe, kurzfristige Bedarfe, entstehen.
Bezieht man neben dem zeitlichen Horizont außerdem die Dimension des Verfahrensfokus mit ein, ergeben sich insgesamt vier verschiedene Bedarfsmanagement-Typen.
Diese lassen sich wie folgt charakterisieren:
Typ I: Kurzfristiges Bedarfsmanagement im weiteren Sinne
- Zielsetzung: Spezifikation und Harmonisierung von ähnlichen kurzfristig (ad-hoc) anfallenden Bedarfen als Grundlage des folgenden Beschaffungsvorgangs
- Ergebnis: Spezifikation der anfallenden Bedarfe und Bilden von Gruppen ähnlicher zeitnah zu beschaffender Bedarfe
Typ II: Kurzfristiges Bedarfsmanagement im engeren Sinne.
- Zielsetzung: Spezifikation eines kurzfristig (ad-hoc) anfallenden Bedarfs als Grundlage des folgenden Beschaffungsvorgangs
- Ergebnis: Bedarfsspezifikation eines zeitnah zu beschaffenden Bedarfs
Typ III: Langfristiges Bedarfsmanagement im weiteren Sinne
- Zielsetzung: Planung der in den kommenden Geschäftsjahren anfallenden ähnlichen Bedarfe und Harmonisierung dieser Bedarfe, Treffen von Make-or-Buy Entscheidungen
- Ergebnis: Bedarfsplan ähnlicher Bedarfe für die kommenden Geschäftsjahre
Typ IV: Langfristiges Bedarfsmanagement im engeren Sinne
- Zielsetzung: Planung der in den kommenden Geschäftsjahren anfallenden Bedarfe, Treffen von Make-or-Buy Entscheidungen
- Ergebnis: Bedarfsplan einzelner Bedarfe für die kommenden Geschäftsjahre
Pro Bedarfsmanagementtyp werden also unterschiedliche Ziele verfolgt und unterschiedliche Ergebnisse angestrebt. Entsprechend gibt es pro Typ unterschiedliche Prozessschritte, Rollen, Instrumente und KPIs, die definiert werden sollten.
Wer muss beim Bedarfsmanagement involviert werden?
Die Liste der Personen bzw. Rollen, die bereits beim Bedarfsmanagement involviert werden sollten, ist länger als man zunächst vermuten würde. Und auch hier hängt es davon ab, ob es sich um langfristiges oder kurzfristiges Bedarfsmanagement handelt. Abbildung 2 zeigt auf, wessen Einbindung sinnvoll sein könnte. Zur Sicherstellung eines langfristigen Bedarfsmanagements ist die Einbindung der Organisations- oder Behördenleitung empfehlenswert. So können Planungs-, Budgetfreigabe-, Bedarfsabfrage- und Bedarfsmeldungsprozesse leichter über das ganze Haus standardisiert etabliert werden.
Die Diskussion hat gezeigt, dass das Wording der einzelnen Rollenbezeichnungen in der Praxis sehr unterschiedlich ist. Die Begriffe in Abbildung 2 sind daher individuell anzupassen. Die Umsetzung einer frühzeitigen Einbindung der Beschaffung sowie der langfristigen Bedarfsplanung kann erleichtert werden, wenn der verantwortliche Warengruppeneinkäufer regelmäßig an den Jour-Fixe-Terminen der Fachabteilung teilnimmt.
→ Zum Download der Vorlage für Ihre individuelle Auflistung der Rollen.
Ausblick
Die Grundlagen sind nun gemacht: es liegt eine Definition der verschiedenen Bedarfsmanagementtypen vor und es ist klar, wer involviert werden muss. Doch wie sieht er nun aus, der optimale Prozess zum Bedarfsmanagement? Dies erfahren Sie im nächsten Teil unseres Beitrags und damit auch, wie ein solcher Prozess in einer geeigneten Weise dokumentiert werden kann.
Möchten auch Sie aktiv mitarbeiten und mit uns gemeinsam Standards erarbeiten?
Im Rahmen der KOINNO-Standardisierung untersuchen wir Standardisierungspotenziale im Beschaffungsprozess. So sollen Innovationspotenziale der öffentlichen Beschaffung als Unterstützung zur Stärkung der Innovationsorientierung öffentlicher Auftraggeber dargestellt werden.
Ziel ist es, gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus der Praxis, Standards im öffentlichen Beschaffungsprozess zu definieren, die als Orientierungshilfe für öffentliche Auftraggeber zur Umsetzung einer innovativen öffentlichen Beschaffung dienen sollen.
Haben Sie Lust, an unseren Arbeitsgruppen teilzunehmen? Dann freuen wir uns über Ihre Kontaktaufnahme per Mail an judith.jung(at)bme.de