Die digitale Transformation und die KI im Besonderen sind zentrale Herausforderungen der öffentlichen Verwaltung. Doch wie können Verwaltungen grundsätzlich dem technologischen Wandel begegnen? Hier kommen die so genannten GovTech-Ökosysteme (Government Technology Ökosysteme) ins Spiel. Sie können bei der Digitalisierung und damit auch bei der Modernisierung der Verwaltung eine wichtige Rolle spielen. Diese bisher noch eher kleine Bewegung gewinnt stetig an Sichtbarkeit aufgrund erfolgreicher Beispiele.
Was ist ein GovTech-Ökosystem und was lässt sich damit erreichen?
Ein GovTech-Ökosystem bringt Akteure wie die öffentliche Verwaltung, Startups und innovative Unternehmen sowie Forschungseinrichtungen und Universitäten zusammen, um innovative (Technologie-) Lösungen für die öffentliche Verwaltung zu forcieren und etablieren. Das übergreifende Ziel ist einerseits die Modernisierung des öffentlichen Sektors und andererseits eine Verbesserung der wirtschaftlichen Leistung am Standort Deutschland durch eine moderne Verwaltung als deren Dienstleister.
Folgende Rollen sind für ein kompetenzübergreifendes GovTech-Ökosystem relevant:
- Startups und innovative Unternehmen: Startups und innovative Unternehmen bringen frische Ideen, Fachwissen und innovative Lösungen in das GovTech-Ökosystem ein. Ihre Agilität ermöglicht es ihnen, schnell auf neue Anforderungen der Verwaltung zu reagieren.
- Öffentliche Institutionen: Die verschiedenen Behörden sind die Hauptzielgruppe und Nutzerinnen von GovTech-Lösungen. Sie müssen bereit sein, ihre Herausforderungen mit den Akteuren zu diskutieren und auch neue Technologien zu übernehmen, um ihre Prozesse zu optimieren und die Qualität ihrer Dienstleistungen zu steigern.
- Forschungseinrichtungen und Universitäten: Wissenschaftliche Einrichtungen spielen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und Evaluierung von GovTech-Lösungen. Sie tragen Forschungsergebnisse und Expertise bei.
- Investoren und Förderprogramme: Investoren unterstützen GovTech-Startups finanziell, um deren Entwicklung und Markteinführung zu ermöglichen. Öffentliche Förderprogramme sind ebenfalls entscheidend, um GovTech-Innovationen zu fördern.
- Bürgerinnen und Bürger: Die Einbindung der Menschen aber auch der Wirtschaftsunternehmen als Nutzende der Verwaltungsleistungen ist entscheidend, da sie am Ende die digitalen Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Ihre Bedürfnisse und ihr Feedback sind bei der Entwicklung von GovTech-Anwendungen von großer Bedeutung.
Ein GovTech-Ökosystem hat mehrere Vorteile: ein solches Konstrukt fördert die Entstehung neuer Ideen und Technologien, die speziell auf die Bedürfnisse der Verwaltung zugeschnitten sind und trägt auf diese Weise zur zügigen Modernisierung des öffentlichen Sektors bei. Digitale Lösungen ermöglichen es Bürgerinnen und Bürgern, Behördengänge online zu erledigen und Informationen bequem von zu Hause abzurufen, was die Servicequalität und die Effizienz steigern.
Wichtig ist dabei, dass diese Lösungen für die Nutzenden verständlich sind und zu ihren Anliegen passen. Ein konkretes Beispiel für den Einsatz von innovativer Technologie in der Verwaltung ist die automatisierte Verarbeitung von Anträgen und Formularen. KI-gestützte Chatbots können den Bürgerinnen und Bürger rund um die Uhr Unterstützung bieten, und maschinelles Lernen ermöglicht es, Trends und Muster in Daten zur verbesserten Politikgestaltung zu identifizieren. Trotz der Bemühungen im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) sind die Verwaltungen in ganz Deutschland ihren Nutzerinnen und Nutzern bisher echten moderne Services schuldig geblieben.
Exkurs: Onlinezugangsgesetz
Das Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (Onlinezugangsgesetz – OZG) verpflichtete Bund, Länder und Kommunen, bis Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen über Verwaltungsportale auch digital anzubieten. Insgesamt wurden hierfür knapp 600 gemäß dem Onlinezugangsgesetz zu digitalisierende Verwaltungsleistungen (sogenannte OZG-Leistungen) identifiziert. In den fünf Jahren seiner Umsetzung ist es jedoch nicht ansatzweise gelungen, das im Onlinezugangsgesetz genannte Ziel einer deutschlandweit flächendeckenden Digitalisierung aller wesentlichen Verwaltungsleistungen zu erreichen.
GovTech-Lösungen spielen auch bei der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung in der Innensicht eine Rolle. Sie können einen wertvollen Effekt in der Optimierung der Prozesse, des Informationsaustauschs und in der Erleichterung der internen Zusammenarbeit und am Ende auch in der Zusammenarbeit mit den Kundinnen und Kunden der Verwaltung leisten. Ein funktionierendes Ökosystem hat zudem einen stabilisierenden Effekt auf die Wirtschaft, da Arbeitsplätze geschaffen werden und das Innovationsklima verbessert wird.
Wie kann im Ökosystem mit den Bedürfnissen der Beteiligten umgegangen werden? Wie bringt man die verschiedenen Welten zusammen?
Die Welt der Startups und die Welt der öffentlichen Verwaltung könnten kaum unterschiedlicher sein. Startups sind für ihre Geschwindigkeit und Agilität bekannt, sie gehen Risiken ein, experimentieren und bewegen sich rasant vorwärts. Die Verwaltung dagegen folgt oft einem deutlich langsameren, bürokratischen Rhythmus, in dem Stabilität und Risikominimierung wichtig sind. Auf den ersten Blick widersprechen sich diese beiden Welten. Tatsächlich sind die kulturellen Unterschiede in der Regel sehr groß.
Nichtsdestotrotz können beide Seiten viel voneinander lernen und müssen es auch, wenn sie zusammenarbeiten wollen. Startups, die im öffentlichen Sektor Fuß fassen wollen, müssen sich auf diese andere Welt einlassen können und vor allem die längeren Prozesse einkalkulieren. Sie müssen sich darauf einstellen, dass Verwaltungen anders kommunizieren, anders organisieren und teilweise deutlich formeller interagieren. Das ist nicht zwingend der Fall, ist aber vergleichsweise typisch.
Verwaltungen müssen sich gleichermaßen darauf einstellen, dass Startups einen anderen Rhythmus haben und eine andere Art der Kommunikation pflegen. Gleichzeitig erfordert die Zusammenarbeit mit innovativen Unternehmen auch das Öffnen für andere Arbeitsweisen. So ist es eventuell sinnvoll, agile Arbeitsweisen anzuwenden, was in der öffentlichen Verwaltung noch eine eher ungewohnte Arbeitsweise mit einer fremden Sprache ist.
Bereits in der Anbahnung der potenziellen Zusammenarbeit gibt es Herausforderungen. So ist beispielsweise eine Vereinfachung der Beschaffungsprozesse notwendig, damit Startups bzw. innovative Lösungen überhaupt angeboten werden können. Bislang sind die Kriterien in Ausschreibungen für Anbieter oftmals so definiert, dass junge Unternehmen wie Startups keine Chance in dem Verfahren haben, wenn mindestens fünf Jahre Existenz und hohe Umsätze gefordert werden und anderenfalls der Ausschluss aus dem Verfahren droht. Aber auch die Art der Markterkundungen lassen oftmals zu wenig Raum für einen Austausch mit Anbietern neuer Lösungen aus Sorge, den Wettbewerb zu verzerren.
Die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger ist ein weiterer wichtiger Faktor. Startups sind es gewohnt, ihre Nutzenden in den Produktentwicklungsprozess eng einzubinden. Für Verwaltungen ist das nicht die typische Vorgehensweise. Dort holt man sich Feedback vergleichsweise spät im Prozess ein. Und wenn es um die eigenen Mitarbeitenden geht, geschieht es in einer Verwaltung noch viel seltener, dass diese eng in den Entwicklungsprozess eingebunden werden. Trotz dieser scheinbaren Unterschiede ist es dennoch möglich, Brücken zwischen diesen Welten zu schlagen.
Die Schlüssel liegen in der Schaffung von klaren Kommunikationswegen, der Förderung von Verständnis und Zusammenarbeit und der Identifizierung gemeinsamer Ziele. Mit dem richtigen Ansatz können Startups und Verwaltungen sowie weitere Stakeholder des Ökosystems gemeinsam an innovativen Lösungen arbeiten, die den öffentlichen Sektor voranbringen.
Erfolgsfaktor Organisationskultur – die Verwaltung hat hier die größten Schritte zu nehmen
Die Zusammenarbeit zwischen Verwaltungen und Startups erfordert auch eine Veränderung der Verwaltungskultur. Grundsätzlich basiert die Schaffung von digitalen und KI-basierten Lösungen auf einer nutzerzentrierten und kontinuierlichen Entwicklung. Daher kommt die Verwaltung um die Schaffung einer offenen Fehler- und Lernkultur nicht herum. Die Verwaltungen müssen in der Lage sein, aus Fehlern zu lernen und sich kontinuierlich zu verbessern. Dies ist auch dann notwendig, wenn Stabilität und konservative Strukturen bevorzugt werden.
Moderne Veranstaltungsformate wie „GeScheiterWeiter“ (www.gescheiterweiter.de) bieten den Raum, eine Fehlerkultur zu reflektieren, sich auf diese andere Sichtweise einzulassen und offen mit Irrtümern und misslungenen Ansätzen umzugehen.
In dieser Reihe geht es darum, authentische Geschichten der Veränderung im Kreis von Gleichgesinnten zu teilen und sich dabei auf die Erkenntnisgewinne und die Effekte zu konzentrieren. Diese Art des Formates ist in der Startup Szene unter dem Namen „Fuckup Night“ bekannt und zielt dort sehr stark auf das Lernen aus dem Scheitern ab.
Letztlich ist es diese offene Kommunikation im Rahmen des Formats, welche den Wissens- und Erfahrungsaustausch fördert und dazu beiträgt, eine Kultur des kontinuierlichen Lernens zu schaffen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden ermutigt, innovative Ideen und neue Ansätze anzugehen und auszuprobieren. Nur so entsteht tatsächlich ein Veränderungseffekt – in der Organisation und in den Köpfen.
Fazit
Insgesamt steht die öffentliche Verwaltung vor der Herausforderung, die Digitalisierung und den Einsatz von KI erfolgreich zu nutzen, um effizientere und nutzendenzentrierte Dienstleistungen anzubieten. Durch die Integration von GovTech-Partnern und den klugen Einsatz von KI kann die öffentliche Verwaltung ihren Wandel vorantreiben und den Bürgerinnen und Bürgern eine optimierte Verwaltungserfahrung bieten. Das erfordert sowohl technologische Investitionen als auch einen kulturellen Wandel, um Innovation und Effizienz in Einklang zu bringen. Ein gezielt entwickeltes Ökosystem kann diese Zielsetzung nachhaltig unterstützen.
Der Beitrag wurde mit Nicole Röttger und Tal Uscher von der Apiarista GmbH für das KOINNOmagazin 02/2023 verfasst. Das Magazin finden Sie hier zum kostenfreien Download.