Verständnis des öffentlichen Sektors Der Marketing Guide: Teil 2

Inhalt

2. Der öffentliche Sektor in Deutschland – Grundsätze, Entscheidungsprozesse und Herausforderungen


2.1. Der öffentliche Sektor in Deutschland als Zielgruppe

B2G-Marketing sollte sich an den besonderen Eigenschaften der öffentlichen Verwaltung orientieren. Als erste Hilfestellung sind hier kurz die wichtigsten Grundsätze der öffentlichen Verwaltung in Bezug auf Kultur, Organisation, Prozesse und Zusammenarbeit mit externen Partnerinnen und Partnern aufgeführt. Da Entscheidungsdynamiken direkte Implikationen für das B2G-Marketing haben, wird im Anschluss näher darauf eingegangen.

2.1.1. Grundsätze der öffentlichen Verwaltung

  • Grundsätze der Kultur. Das Selbstverständnis des öffentlichen Sektors ist von Gemeinwohlorientierung geprägt und beeinflusst sämtliche Aktivitäten und Entscheidungsprozesse. Die öffentliche Verwaltung hat den Anspruch, öffentliche Mittel und Ressourcen so effizient wie möglich einzusetzen, um die bestmögliche Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu gewährleisten. Wirtschaftlichkeit spielt dabei eine zentrale Rolle, jedoch nicht im Sinne von Gewinnmaximierung, sondern als Ausdruck eines verantwortungsvollen Umgangs mit begrenzten Mitteln. Zugleich agiert die öffentliche Verwaltung risikoaverser als private Organisationen, da sie der öffentlichen Kontrolle unterliegt und Entscheidungen mit langfristigen Konsequenzen besonders sorgfältig abwägt.
  • Grundsätze der Organisation und Prozesse. Die öffentliche Verwaltung verfolgt den Anspruch, durch klare Hierarchien und festgelegte Strukturen Transparenz und Verantwortlichkeit sicherzustellen. Dies soll nachvollziehbare Entscheidungen und eine geregelte Aufgabenverteilung ermöglichen. Der Grad der Hierarchie und die konkreten Abläufe unterscheiden sich jedoch erheblich je nach Verwaltungsebene und -bereich. Arbeitsprozesse sind häufig durch spezialisierte Fachverfahren strukturiert, die sowohl Effizienz schaffen als auch die Komplexität der Aufgaben bewältigen sollen. Wichtig ist, dass diese Abläufe auf Verwaltungsvorschriften und Gesetzesgrundlagen basieren.
  • Grundsätze der Zusammenarbeit mit privaten Akteuren.In der Zusammenarbeit mit privaten Akteuren priorisieren öffentliche Verwaltungen langfristige und stabile Beziehungen. Deshalb sind ihnen die Reputation und Verlässlichkeit von externen Partnerinnen und Partnern besonders wichtig – dies wird unter anderem durch relevante Erfahrungen und belastbare Referenzen demonstriert.

2.1.2 Relevante Entscheidungsprozesse

Entscheidungen werden je nach Aufbau der vertikalen Hierarchie in der jeweiligen Organisation getroffen. Beispielsweise können die Führung der Fach- und IT-Abteilungen, CDOs sowie Hausleitungen in Entscheidungsprozessen involviert sein. Um die richtigen Zielpersonen fürs Marketing zu finden und die Kommunikationsstrategie entsprechend anzupassen, sollte man über die jeweiligen Entscheidungsprozesse Bescheid wissen.

Relevant ist vor allem, dass die Verwaltung oft kleine Anpassungen anstatt großer Veränderungen bevorzugt, was sich auf das Ergebnis von Entscheidungen auswirkt (Incrementalism, Lindblom, 1959). Daher empfiehlt es sich, Anknüpfungspunkte der innovativen Lösung an bestehenden Strukturen zu betonen. Außerdem entscheidet die Verwaltung innerhalb von opportunen Zeitfenstern und mit politischem Momentum, wenn Maßnahmen durchgesetzt werden können (Policy-Window-Modell, Kingdon, 1984). Um politisches Momentum zu nutzen, sollte das Marketing die gesellschaftliche Relevanz der Lösung hervorheben und den richtigen Zeitpunkt gezielt adressieren. Gleichzeitig ist zu beachten, dass das Interesse der öffentlichen Verwaltung an Lösungen auch mit dem politischen Momentum schwanken kann.

2.2. Verständnis für die Herausforderungen und Anforderungen in der öffentlichen Verwaltung

Die öffentliche Verwaltung ist mit spezifischen Herausforderungen konfrontiert, welche sich aus Megatrends, politischen Zielen und ihren täglichen Aufgaben ergeben. Sie ist beispielsweise für die öffentliche Daseins- und Gesundheitsvorsorge zuständig, was Entscheidungen im öffentlichen Sektor prägt. Gleichzeitig herrschen spezifische Anforderungen an Lösungen im öffentlichen Sektor, wie z.B. hohe Ansprüche an Datenschutz durch den Sensibilitätsgrad der Daten. Erfolgreiches Marketing muss diese Themen gezielt adressieren und auf die Bedürfnisse der öffentlichen Verwaltung eingehen. In diesem Abschnitt werden exemplarisch zentrale Herausforderungen sowie Anforderungen vorgestellt und daraus konkrete Implikationen für innovative Unternehmen abgeleitet. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf den Anforderungen an Tech-Lösungen, da sich hier besondere Anforderungen, z.B. in Bereich Datensicherheit, ergeben. Die folgende Tabelle dient als Orientierung und erster Anhaltspunkt für vertiefende Analysen.

 

Implikationen für Startups und KMU

Herausforderungen für den öffentlichen Sektor

Digitalisierung

Der öffentliche Sektor sucht aktiv nach externen, innovativen Lösungen bei Tech-Anbietern.

Resilienz und Sicherheit

 

Eine resiliente und sichere Infrastruktur erfordert kontinuierliche Investitionen, Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft und Innovation. Unternehmen müssen über klare Dokumentation zur (IT-) Architektur und etwaigen Zertifizierungen verfügen.

Fachkräftemangel

Die öffentliche Verwaltung sucht vermehrt nach Lösungen, die dabei helfen, die Lücken in der Personalbesetzung zu schließen und den Arbeitsaufwand zu reduzieren, z.B. durch KI- und Process-Mining-Lösungen (bis 2030 sind ca. 840.000 offene Stellen im öffentlichen Sektor prognostiziert, Quelle: McKinsey).

Budgetbeschränkungen

Die Nachfrage der Verwaltung kann mit der Haushaltslage und -zyklen (abhängig von Wahlperioden und/oder jährlichen Budgets) schwanken. Grundsätzlich sucht sie nach kosteneffizienten und skalierbaren Lösungen.

Aktuelle politische Entwicklungen und Ziele

 

Unternehmen sollten die wichtigsten Entwicklungen kennen, z.B. durch Policy Monitoring, um das richtige Momentum zum Platzieren eigener Lösung nutzen zu können.

Anforderungen an Produkte im öffentlichen Sektor

Standardisierung und Interoperabilität

Unternehmen sollten die (IT-) Standards der Verwaltung kennen und zur eigenen Kompatibilität und Interoperabilität kommunizieren (siehe z.B. XÖV-Standards).

Übertragbarkeit von Lösungen

 

Ein relevanter Trend im öffentlichen Sektor ist die Entwicklung und Bereitstellung von Open-Source-Lösungen (mehr dazu: CIO-Bund). Tech-Unternehmen sollten dazu Position beziehen können – unabhängig davon, ob sie eine Open-Source-Lösung anbieten oder nicht.

Rechtskonformität

Unternehmen sollten alle rechtlichen Rahmenbedingungen einhalten. Dazu zählt je nach konkretem Anwendungsfall unter anderem Datenschutz (DSGVO), Barrierefreiheit, oder C5 (Cloud Computing Compliance Criteria Catalogue) für Cloud-Hosting.

Compliance

Die öffentliche Verwaltung sucht oft nach maßgeschneiderten Lösungen, eine entsprechende Anpassung kann für große Kundinnen- und Kunden-Bindung sorgen.

Nachhaltigkeit und Lebenszykluskosten

Gemäß §59 VgV können öffentliche Auftraggeber das Zuschlagskriterium „Kosten“ anhand von Lebenszykluskosten berechnen, einschließlich Umweltkosten. Wenn die angebotene Lösung Vorteile im Bereich Lebenszyklus bietet, sollten diese herausgearbeitet werden, insbesondere auch Angaben zum sozialökologischem Impact.

Tabelle 1. Herausforderungen im öffentlichen Sektor und Anforderungen an Lösungen


Hier geht es zu Teil 3 des Marketing-Guide:

3. Kommunikation als Kern einer B2G-Marketingsstrategie